Lange und Kurze

Dieser Artikel erschien in der MIBA 9/1994. Spätere Aktualisierungen, z.B. wegen neuer Modelle oder neuer Erkenntnisse, sind rot gekennzeichnet.

In MIBA-Heft 5/93 sahen wir uns die Standardweiche der DB an, die EW-190-1:9 - heute gehts weiter mit den langen und den kurzen Weichen der deutschen Bahnen.

Die 190-1:9 ist die Standardweiche der deutschen Bahnen seit etwa der Jahrhundertwende bis heute. Der Radius von 190 m kann mit maximal 40 km/h befahren werden; das ist nicht viel, und insbesondere bei größeren Bahnhöfen, bei denen die Weichen der Einfahrt weit vor dem Bahnsteig liegen konnten und der Zug früh abgebremst werden musste, kostete das Zeit, zumal die Streckengeschwindigkeit der Züge immer weiter stieg. Auch die klassischen Länderbahnweichen ließen keine höheren Geschwindigkeiten im Abzweig zu, Preußens längste Weiche war die EW-245-1:10.

So wurden zusammen mit der EW-190-1:9 auch Weichen mit größeren Radien eingeführt, und zwar die EW-300-1:9 und die EW-500-1:12. Die gleichen Radien wurden von der Reichsbahn in der Zwanzigern bei der Konstruktion der neuen Weichen aus dem Profil S49 übernommen, allerdings sind die Weichen mit ihren Länderbahnvorgängern nicht baugleich, auch hinsichtlich der Hauptabmessungen nicht: Die Reichsbahn maß den Radius nunmehr in der Gleisachse (die Länderbahnen bis auf Württemberg an der bogenäußeren Fahrkante), und die Zungen waren länger ausgeführt, so dass eine Länderbahnweiche gleichen Typs nicht ohne Änderungen an den anschließenden Gleisen gegen eine Reichsbahnweiche ausgetauscht werden konnten.

EW-300-1:9

Bei dieser Weiche fällt zunächst auf, dass Sie den gleichen Abzweigwinkel wie die Standardweiche hat. Aber dieser Winkel wird erst am Weichenende erreicht, der Bogen also durchs Herzstück durchgeführt. Dennoch sind beide Weichen auf der Seite des Weichenendes genau gleich lang: 16,615 m. Das erleichtert natürlich den Umbau, wenn eine Einfahrt auf höhere Geschwindigkeiten ausgebaut oder im anderen Falle zurückgebaut wird. Dies bietet auch eine Möglichkeit für Modellgleissysteme, die leider, leider noch kein Hersteller genutzt hat - Näheres siehe im Kasten.

Die EW-300-1:9 kann mit max. 50 km/h im abzweigenden Strang befahren werden. Diese Möglichkeit konnte nicht überall genutzt werden, weil "50" zu Zeiten der mechanischen Geschwindigkeitsanzeiger keine signalisierbare Geschwindigkeit war. Dennoch wurde sie auch eingebaut, wenn nur 40 km/h gefahren wurde: Aufgrund der geringeren Fliehkräfte war der Verschleiß der EW-300- 1:9 bis zu zehnmal geringer als bei der EW-190-1:9!

Die EW-300-1:9 war als Einfahrweiche vorgeschrieben, wenn die zugelassene Streckengeschwindigkeit zwischen 60 und 80 km/h lag, diese Bedingung traf praktisch für alle eingleisigen Haupt- und viele Nebenbahnen zu. Für ein Modellgleissystem sollte es daher geradezu zwingend sein, auch dem Modellbahner die Möglichkeit zu geben, zwischen Einfahr- und sonstigen Weichen zu unterscheiden.

EW-500-1:12

Sie ist die nächstgrößere Weiche, der abzweigende Strang kann mit 60 km/h befahren werden. Sie ist vorgeschrieben als Einfahrweiche bei Streckengeschwindigkeiten von mehr als 80 km/h. Mit Ihr verlassen wir schon der Bereich, dessen was sich als Modell nachbilden lässt, sie würde selbst bei 30prozentiger Verkürzung so etwa einen halben Meter lang!

EW-500-1:14

Diese Weiche, deren Bogen vorm Herzstück endet (die also ein gerades Herzstück hat), war schon zu Länderbahnzeiten eingeführt und hat ebenfalls die ganze Weichenbausgeschichte bis zu den modernen Profilen mitgemacht - jedenfalls auf dem Papier, gesehen hat auch der weichensüchtige Autor dieser Serie noch keine!

EW-1200-1:18,5

Diese Weiche war eine Neuentwicklung der DRG, die diese Bauart 1929 zusammen mit den übrigen Reichsbahnweichen einführte. Im abzweigenden Strang sind 100 km/h zugelassen. Gedacht war sie für Streckentrennungen, Gleiswechsel und ähnliche schnell befahrene Stellen, dort ist Sie bis heute zu finden. Z.B. sind die Wechselstellen der Neubaustrecken mit diesen Weichen ausgeführt. Sie kann aber auch in kleineren Bahnhöfen gefunden werden, vor allem als Bogenweiche.

Wie alle bis jetzt aufgeführten Weichen wurde auch diese Bauart zunächst mit Gelenkzungen gebaut. Während die Weichen mit bis zu 500 m Radius gleichzeitig auch mit Federzungen entwickelt wurden, war dies hier nicht möglich, die Zunge und damit der Bereich ohne oder mit nur ungenügender Seitenabstützung wäre zu lang geworden. Nach dem Krieg wurde für alle diese Weichen neue Zungen entwickelt, und zwar die Federschienenzungen (was genau der Unterschied ist, erläutern wir in der nächsten Folge). Im weiteren Verlauf wurden sie alle auch aus den schwereren Profilen UIC50 und S54 bei der DB bzw. R65 bei der DR neu konstruiert.

EW-760-1:14

Diese Weiche ist eine Neuentwicklung der Bundesbahn zu Beginn der 50er Jahre. Sie war damit die erste Weiche, die keine Vorläufer mit Gelenkzungen hatte, und aus dem gleichen Grund auch die erste, die nicht bei der DR vorkam. Sie füllte mit einer maximalen Abzweiggeschwindigkeit von 80 km/h die Lücke zwischen der EW-500-1:12 und der EW-1800-1:18,5.

Die Superlangen

Den Bereich dessen, was im Modell nachzuvollziehen ist, haben wir nun schon lange verlassen, aber der Vollständigkeit seien auch die ganz schnellen Weichen der DB noch aufgeführt: EW-2600-1:26 für 120 km/h, EW-6000/3600-1:36 für 160 km/h und EW-7000/6000-1:42 für 200 km/h. Die erste EW-2600-1:26 wurde um 1966 beim Neubau des Bahnhofs Ludwigshafen eingesetzt. Sie ist mittlerweile recht häufig, man findet Sie an Abzweigungen, bei Gleiswechseln, Ausfädelungen für Güterzugstrecken etc. Ob die EW-6000/3600-1:36 auch tatsächlich schon irgenwo eingebaut wurde, hat der Autor noch nicht herausgefunden. Damals noch nicht. Sie kommt verschiedentlich in den Zufahrten zu den Neubaustrecken vor, z.B. vor Bruchsal im Abzweig Richtung Stuttgart. Aber die EW-7000/6000-1:42, die gibt's wirklich, und zwar in der Nähe von Graben-Neudorf, wo die Neubaustrecke Richtung Stuttgart abzweigt (Abzweig Salbach).

Erläutert sei eben noch, warum hier zwei Radien angegeben sind: Der größere Radius gilt für den Bereich der Zungen, der kleinere Radius schließt sich hinter den Zungen an. Die Württemberger machten das auch schon so - war alles schon mal da!

Die Steilen

Nun vervollständigen wir unsere Übersicht über die Weichen zur anderen Seite hin, wobei darauf hinzuweisen ist, dass die große Eisenbahn im Gegensatz zu den Modellbahnern nicht wie in der Überschrift von kurzen und langen Weichen spricht, sondern von Steilweichen und Steilkreuzungen einerseits, von Flachkreuzungen und -weichen andererseits.

Die beiden gebräuchlichsten Steilweichen haben wir bereits in Heft 5/93 in Bild und Zeichnung vorgestellt: die EW-190-1:7,5 und die EW-190-1:7,5/1:6,6. Diese Weichen sind auch die beiden einzigen, die die DB in ihrem Netz zuließ, 190 m ist also der engste "offizielle" Weichenradius in Westdeutschland.

Bei Preußens war dies noch anders. In Preußen und anderen Ländern war neben 1:10 ursprünglich 1:8 die Regelneigung, wobei meist ein Radius von 180 m verwendet wurde. Die steilste preußische Weiche war jedoch die EW-140-1:7. Sie verschwand zwar von den Reichsbahn- und Bundesbahngleisen, hielt sich aber als Privatbahnweiche und somit vor allen Dingen in Gleisanschlüssen. Womit auch der Modellbahner die Möglichkeit hat, Weichen mit Radien, die für den Zugbetrieb zu klein sind, platzsparend im Rangierbereich unterzubringen.

Die DR führte, anders als die DB, Ersatz für die preußische EW- 140-1:7 ein: Die EW-150-1:7,5 mit geradem Herzstück und die EW- 150-6,6 mit durchlaufendem Bogen.

Für Gleisanschlüsse wurden im übrigen auch noch steilere Weichen gebaut. Die engsten Radien, die Güterwagen befahren können, sind je nach Bauart 80 m, 50 m oder gar 35 m. Und tatsächlich gibt es Weichen mit diesen Radien. Sie waren früher als Auflaufweichen konstruiert; damals baute man, aufgrund falscher Annahmen über das Verhalten der Räder im Bogen, derart stark gekrümmte Gleise so, dass das innere Rad auf der Lauffläche einer Rillenschiene, das äußere Rad jedoch auf dem Spurkranz läuft. In gleicher Weise verfuhr man auch bei diesen Weichen. Heute sehen diese Weichen, wie man der den Abbildungen entnehmen kann, genauso aus wie alle anderen, nur dass auf der ganzen Länge der Weiche innen ein Radlenker für zusätzliche Führung sorgt. Im Zungenbereich beträgt der Radius dieser Konstruktionen allerdings immer 140 m.

Übersicht Vorbildfotos
151304A
EW-49-1:9-300
192908
EW-49-1:9-300-Gz
150807
EW-49-1:9-300-Fz
EW-49-1:9-300-Fz
168729
EW-49-1:9-300
168729
EW-60-300-1:9
196524
Parabeweiche ?
262417
EW-54-1:12-500-Fz
154618
EW-49-500-1:9-Fz
167622
EW-54-500-1:9-Fz
611206
EW-49-760-1:14-Fsch
EW-49-760-1:14-Fsch
Dia EW1800
EW-49-1200-18,5
2600-1:26,5
168012
EW-60-6000/3600-1:36
190724
EW-60-7000/6000-1:42
190729
EW-60-7000/6000-1:42
D1010033
EW?60-16000/6100-1:40,15
140 m
187633
100 m
180109
35 m
165217
35 m
161115
150-m-Weiche der DR