Einfache Kreuzungsweichen
Dieser Artikel erschien 1989 in "BAHN UND MODELL", Nummer 10 und 11. ROCOs Modelle Einfacher Kreuzungweichen waren soeben erschienen.
In diesen Tagen sind die einfachen HO-Kreuzungsweichen auf den Markt gekommen, die ROCO auf der letzten Messe angekündigt hat. Anlass genug, sich mit dem Einsatz von Kreuzungsweichen bei Vorbild und Modell etwas näher zu befassen.
Wir bislang einfache Kreuzungsweichen einsetzen wollte, war auf das Angebot der Bausatzlieferanten wie Schullern oder Schumacher angewiesen. Dass ein Großserienhersteller eine einfache Kreuzungsweiche (EKW) herausbringt, ist schon für sich ein Ereignis und auch deshalb sehr bemerkenswert, weil der Anteil der einfachen an den Kreuzungsweichen bei der Bundesbahn nicht allzu groß ist. Noch verblüffender ist, dass gleich zwei verschiedene einfache Kreuzungsweichen auf den Markt gebracht werden, denn damit ist des Guten zu viel getan. DRG, DB und DR kannten und kennen eigentlich nur eine Kreuzungsweiche mit innenliegenden Zungen: Die EKW bzw. DKW-190-1:9.
Vorbildtypen
Die Kreuzungsweichen EKW-49-190-1:9 und DKW-49-190-1:9 wurden 1929 von der Reichsbahn eingeführt; allerdings gab es schon bei den Länderbahnen Vorläufer mit gleichem Winkel und Radius. Im Laufe der Jahre wurden zahlreiche Details geändert, von denen die meisten im Modellmaßstab irrelevant sind (z.B. geschweißte statt verschraubte Herzstücke). Auch im Modell sichtbar wären vor allem zwei Bauartänderungen: die Einführung der Federschienenzunge statt der Gelenkzunge als Regelbauart im Jahre 1953 (was nicht heißt, dass man nicht bis heute viele Gelenkzungen-Weichen in Nebengleisen findet) und Änderungen in Zahl und Lage der Doppelschwellen.
Seit 1984 werden diese Kreuzungsweichen nicht mehr neu gefertigt (aber weiter unterhalten und aufgearbeitet). Ihre Nachfolger mit stärkerem Schienenprofil sind die EKW-54-190-1:9 und die DKW-54-190-1:9. Sie sind daran zu erkennen, dass sie Federzungen und keine Doppelschwellen mehr aufweisen. Kreuzungswinkel, Radien und Länge sind jedoch gleich geblieben. Bei allen vorgenannten Kreuzungsweichen endet wie bei der dazugehörigen einfachen Weiche EW-190-1:9 der Bogen des abzweigenden Gleises vor dem Herzstück; beide Fahrkanten des Herzstücks sind also gerade. Wie bei der Weiche, so kann aber auch bei EKW und DKW statt des geraden Herzstücks ein gebogenes angesetzt werden, und zwar an einer oder an beiden Seiten des Mittelteils. So entstehen weitere Bauformen, vor allem mit den Endneigungen 1:7,5 und 1:6,6 (siehe Bild 3-5).
Erst in jüngster Zeit hat die Bundesbahn als Gegenstück zur EW-1200-1:18,5 die EKW-39-850-1:18,5 entwickelt, die es nur als einfache Kreuzungsweiche gibt und die in sehr seltenen Fällen in schnell befahrene Abzweigungen eingebaut wird (z.B. im Bhf. Maschen). Sie ist 65 Meter lang und selbst in angemessener Verkürzung für die Modellbahn zu groß. Sie wurden überhaupt nur in Maschen eingebaut und sind dort mittlerweile wieder verschwunden.
ROCOs EKW-Modelle
Der Modellbahner muss also entscheiden, welche der beiden ROCO- Kreuzungsweichen er als verkürzte Nachbildung der Vorbildkreuzungsweiche nehmen will. Dies sollte aber keine Frage sein; die Nummer 42493 (mit Bettung: 42591) mit ihrem großen Radius von 959 mm und dem flachen Winkel von 10 Grad dürfte die erste Wahl sein. Zumal die 15-Grad-EKW Nr. 42448 (mit Bettung 42546) mit 531 mm einen Radius aufweist, der machen Kleinserienloks, aber auch gesuperten Großserienmodellen Schwierigkeiten macht (Kolbenstangen-Schutzrohre!).
Damit ist jedoch die steilere Kreuzungsweiche nicht völlig aus dem Rennen: Die preußischen Eisenbahnen hatten eine Kreuzungsweiche mit 140 Metern Radius und einem Winkel von 1:7. Sie ist ebenso wie die dazugehörige Weiche 140-1:7 zwar schon zu Reichsbahnzeiten aus den Gleisanlagen verschwunden, weil sie für den Zugbetrieb zu eng war; auf nicht-bundeseigenen Gleisen - und dazu gehören außer den Privatbahnen auch die zahlreichen Industriebahnen und Gleisanschlüsse - ist sie jedoch als Industrieweiche erhalten geblieben und sogar weiterentwickelt worden (siehe Bild 6).
Gleich für welche Kreuzungsweiche man sich als Standard entscheidet, der Modellbahner sieht sich einem zweiten Problem gegenüber: Es gibt eigentlich zu diesen Kreuzungsweichen nicht die passende Weiche im Programm. Dies sei an der Kreuzungsweiche 42493 (42591) mit 959 mm Radius erläutert: Beim Vorbild ist die zur Kreuzungsweiche 190-1:9 gehörende Weiche natürlich die EW-190-1:9. Sie hat den gleichen Radius, nämlich 190 m, und ebenfalls ein gerades Herzstück; sie ist insgesamt etwa 20 Prozent kürzer als die Kreuzung. Zwar gibt es auch im ROCO-Programm eine Weiche mit einem etwa gleichen Radius von 873,5 mm, nämlich die Nr. 42440/1 (42532/3); hier läuft jedoch der Bogen des abzweigenden Gleises durch das Herzstück durch. Die Weiche ist deswegen erheblich steiler (15 Grad), entspricht also beim Vorbild etwa der EW-190-1:6,6 (dann stimmen auch die Schwellen des ROCO-Modells).
Die vom Hersteller vorgesehene Weiche Nr. 42488/9 (42580/1) mit gleichem Winkel von 10 Grad ist jedoch gleich lang wie die Kreuzungsweiche und hat einen deutlich größeren Radius (1946 mm). Damit ist sie nicht vorbildwidrig, denn genau diese Bedingungen erfüllt beim Vorbild die einfache Weiche EW- 300-1:9; sie kann mit 50 km/h befahren werden und ist als Einfahrweiche vorgeschrieben bei Streckengeschwindigkeiten von über 60 und unter 80 km/h.
Nun ist eine Kombination der EW-300-1:9 mit der EKW/DKW-190-1:9 beim Vorbild nicht die Regel, weil eigentlich nur sinnvoll, wenn der regelmäßige Fahrweg für einfahrende Züge nicht über das abzweigende Gleis der Kreuzungsweiche führt (das nur mit 40 km/h befahren werden kann). Trotzdem kommt diese Verbindung vor, einmal, weil die Weichen mit 300 m Radius bei gleicher Geschwindigkeit eine höhere Lebensdauer haben, zum anderen, weil die eigentlich zur EW-300-1:9 passenden Kreuzungsweichen 300-1:9 (mit außenliegenden Zungen) seit Anfang der 70er Jahre aus dem Verkehr gezogen werden.
Jedenfalls wäre ROCO im Interesse der Vorbildmäßigkeit des Gleissystems dringend zu raten, eine Weiche herauszubringen, die hinsichtlich Radius und Weichenwinkel der EKW und der später erscheinenden DKW entspricht, also wie diese ein gerades Herzstück aufweist. Umsomehr, als die EW-190-1:9 mit geradem Herzstück die häufigste Weiche der deutschen Eisenbahnen überhaupt ist.
An der Ausführung der steileren Kreuzungsweiche gibt es eigentlich nur eins zu meckern: ROCO hatte bei der Verteilung der Doppelwellen keine glückliche Hand. Betrachtet man die 15-Grad-EKW als Nachbildung der EKW-140-1:7, wozu wir raten, dann dürfte sie wie alle preußischen Weichen keine Doppelschwellen haben. Die EKW-49-190-1:9 hatte in jeder Ausführung je eine Doppelschwelle in der Mitte, vor und hinter den Herzstücken; meist ist auch noch die dritte Schwelle rechts und links von der Mitte eine Doppelschwelle.
Nach so viel grauer Theorie werden wir uns in der nächsten Ausgabe von BAHN & MODELL dem praktischen Einsatz der EKW widmen: Wo werden sie beim Vorbild und im Modell in sinnvoller Weise eingebaut? Diese Frage wird anhand zahlreicher Fotos und Zeichnungen untersucht werden.
Teil 2 (des seinerzeitigen Artikels)
Ein Wort zuvor: (ROCO reagierte auf die Kritik an der Geometrie ziemlich sauer, nachvollziehbar angesichts der Investitionskosten für das damals brandneue ROCOline-Gleissystem. Darum wurden dem zweiten Teil ein paar beschwichtigende Zeilen vorangestellt.)
Einige Leser haben sich nach der Lektüre des 1. Teils des EKW-Artikels in B&M 10/89 beschwert: Das ROCO-Gleissystem würde zu harter und ungerechtfertigter Kritik unterzogen.
Dies ist ein Missverständnis, das sich hoffentlich nach der Lektüre des 2. Teils in dieser Ausgabe von selbst erledigen wird. Dann sollte nämlich klar werden, dass die Beschreibung der Vorbild-Kreuzungsweichen nicht dem Zweck diente, die Unzulänglichkeiten industriell gefertigter Gleissysteme aufzuzeigen, sondern im Gegenteil, vorzuführen, wie die Weichen eines solchen Gleissystems möglichst vorbildnah eingesetzt werden können.
Dass dieses überhaupt möglich ist, dass man einzelne Weichen des ROCO- Gleissystems bestimmten Vorbildtypen zuordnen kann, kurzum, dass man im Zusammenhang mit einer Weiche überhaupt die Überschrift "Vorbild & Modell" benutzen kann, zeigt den ungeheuren Fortschritt, der hier in jüngster Zeit erzielt worden ist.
Dabei muss man bedenken, dass die Nachbildung von Weichen und Kreuzungen des Vorbildes im Modell keineswegs einfach ist. Denn das Vorbild setzt sie aus Einzelteilen zusammen und kann sie je nach den Gegebenheiten variieren, dies wäre im Modell höchstens im Selbstbau möglich. Eine maßstäbliche Nachbildung scheidet überdies von vornherein aus: In HO wäre eine Weichenverbindung zwischen zwei 52 mm voneinander entfernten Gleisen (das entspricht einem Vorbild-Gleisabstand von 4,5 m) über 70 cm lang. Ein weiteres Problem bei der Nachbildung im Modell stellen außerdem die durchgehenden Langschwellen außerhalb der eigentlichen Weiche dar, denn die Bereiche dieser Langschwellen überschneiden sich, wenn sich zwei Weichen einer Gleisverbindung gegenüber liegen. Natürlich gibt es verschiedene Konzepte, alle diese Probleme zu lösen:
ROCO hat sich dafür entschieden, die Weichenbögen durch das Herzstück hindurch und darüber hinaus noch ein ganzes Stück bis zu dem Punkt weiterzuführen, wo auch beim Vorbild wieder Einzelschwellen unter den Schienen liegen. Der Vorteil dieses Verfahrens ist, dass sich ein überaus leicht verständliches, übersichtliches und mit wenigen Teilen auskommendes und dennoch vielfältiges Gleissystem ergibt, das sich für jede Modellbahn eignet, von der Weihnachtsbahn auf dem Wohnzimmertisch bis zum Superdiorama. Die Nachteile sind der große Gleisabstand und die trotzdem zwischen Weiche und Gegenbogen fehlende Zwischengerade.
Zum Vergleich: Lima hat den anderen Weg beschritten. Hier entsprechen Gleisabstand, Herzstücke und Zwischengeraden dem Vorbild - aber um den Preis, dass die Weiche zwischen Zungenvorrichtung und Herzstück getrennt wird: Die Weichenverbindungen müssen aus mehreren Teilen zusammengesetzt werden. Dieses funktioniert nur, wenn man ausschließlich einen einzigen Typ von Weiche nachbildet.
Doch wie auch immer: Was es bisher an industriell gefertigten HO-Gleissystemen zu kaufen gab, war angesichts des Niveaus, das bei der Nachbildung von Lokomotiven und Wagen mittlerweile erreicht worden ist, schlichtweg unzureichend. Dass das "finstere Mittelalter" des Modellbahngleises nun geendet hat, ist vor allem der Tatsache zu danken, dass sich mit ROCO und Lima zwei ganz große Modellbahn- Hersteller ein Herz (und einiges an Mitteln) genommen haben und Gleise produzieren, die zu ihrem Vorbild in einem deutlich erkennbaren Bezug stehen.
Einsatz von Einfachen Kreuzungsweichen
Wo werden nun beim Vorbild und dementsprechend beim Modell in sinnvoller Weise EKWs statt DKWs eingesetzt? Überall dort, wo der bei der EKW fehlende Fahrweg entweder nicht benötigt wird oder anders hergestellt wird. Dies klingt banal, es gibt aber einige typische Situationen beim Vorbild, die sich auf die Modellbahn übertragen lassen und die im nachfolgenden vorgestellt werden.
Der klassische Fall, wo der Fahrweg gar nicht benötigt wird, ist die Ein- bzw. Ausfahrt eines kleinen Bahnhofes einer zweigleisigen Strecke. Wer alte Aufnahmen betrachtet, wird einige solcher Einfahrten entdecken. Bei der heutigen Bundesbahn sind sie selten geworden, da Kreuzungsweichen und Kreuzungen nicht mehr in durchgehende Hauptgleise eingebaut werden sollen und die Einfahrten heute meistens in einfache Weichen aufgelöst sind.
Das gleiche gilt für die Abzweigung einer eingleisigen von einer zweigleisigen Strecke. Das lässt sich auch mit dem ersten Fall kombinieren, wie das Beispiel des Bahnhofes Elmshorn zeigt (vgl. Bild 4). Bedenkt man, dass "zweigleisige Hauptbahn mit abzweigender Nebenstrecke" das klassische Modellbahnthema ist, muss man für ROCO um den Absatz der EKW`s nicht bangen.
Skizze 1 |
Der zweite Standardfall ist der, wo der Fahrweg auf andere Weise hergestellt wird. Bei neuen Bahnhofsanlagen ist dies sogar die Regel. Der Nachteil der DKW ist es nämlich, dass sie nur einen gleichzeitigen Fahrweg zulässt. Baut man jedoch eine EKW und zusätzlich eine Weiche oder Weichenverbindung ein, können zwei Fahrstraßen gleichzeitig eingestellt werden. Skizze 1 zeigt dies: Im oberen Gleisplan können die Fahrstraßen A-M und B-N gleichzeitig eingestellt werden, was im unteren nicht möglich ist.
Diese Art von Bedingung kann sich auch auf ganze Weichenstraßen erstrecken, wie die Skizze 2 zeigt. Auch hier ist der Zweck, außer der Einfahrt oder Ausfahrt eine weitere Zugfahrt zu ermöglichen: Zu einer zweiten Strecke, zum Abstellbahnhof, zum Ziehgleis. Diese Art von Anlage war bei mittleren Bahnhöfen recht häufig (z.B. Unna), ist aber auch heute im Zuge des Rückbaus vieler Gleisanlagen verschwunden.
Einen weiteren Einsatzfall findet man gelegentlich in Bahnhöfen, die im Bogen liegen, wie z.B. in Aachen Hbf.: Eine zweifache oder doppelte Gleisverbindung wird durch eine EKW ersetzt. Aber Vorsicht: Bei der großen Bahn gilt die Vorschrift, dass die Geschwindigkeit der freien Strecke auch im Bahnhof zulässig sein soll. Deswegen darf ein durchgehendes Hauptgleis nicht über das Verbindungsgleis (Bogengleis) der EKW führen, das ja nur mit 40 km/h befahren werden kann. Darauf sollte man auch im Modell achten, um einen realistischen Gleisplan zu erhalten.
Skizze 2 |
Interessant und noch gut auf Modellbahnverhältnisse zu übertragen ist das Beispiel aus der südlichen Bahnhofsausfahrt von Konstanz, wo sich alle vorgenannten Anwendungsfälle wiederfinden (vgl. Bild 15).
Das sind nun alles Beispiele, die sich nicht in kleinen Bahnhöfen finden. Auf Nebenbahnen, die ja als Modellbahnthema im Kommen sind, weil sich ihre kargen Gleispläne realistischer ins Modell übertragen lassen, sind einfache Kreuzungsweichen rar. Aber auch dort gibt es sie, zum Beispiel dann, wenn sich zwei Ladegleise kreuzen, zwischen denen keine Rangierfahrt möglich sein muss.
Es empfiehlt sich aber nicht, EKWs dort einzubauen, wo der fehlende Fahrweg eigentlich benötigt wird; das Vorbild leistet sich eher eine DKW zu viel als einen überflüssigen Rangiervorgang. Auch sollte eine eventuelle Schutzgleisfunktion nicht um des Einbaus einer EKW willen geopfert werden. Und als Trost für die, die ein Gleissystem ohne EKW verwenden: Es gibt auch ausreichend Beispiele für Situationen, wo DKWs an Stellen verlegt wurden, an denen auch eine EKW ausreichen müsste.